in der fremde mit den fenstern heim
an die decke mit fingern zeichnen
ins wasser fallen
und aus dem rahmen
sich auf die stirn einkratzen
geh fort
weiss gott
bei gott
Schweigsam, seltsam, un-er-gründlich
Zum Tod des ukrainischen Dichters Nazar Hončar (1964-2009)
ich flimmere
du flimmerst
die Welt ist ein flimmerndes Flechtwerk
dies ist das Gesetz
des Weltflimmerns
das auch für mich
so offenbar ist
Wenn ich mich recht erinnere, bin ich Nazar Hončar (oder Hontschar) zuallererst auf einem Bahnhof begegnet. Ich befürchtete, ihn in der Menge nicht zu erkennen – doch dann war es ganz klar, dass von all den Menschen auf dem Bahnsteig nur einer ein Dichter sein konnte. Schnürlsamt-Jeans, eine bunte Kappe, ein verträumter Blick, und dieser Bart zwischen Ziegenbock und Musketier – so habe ich mir in meiner 70er-Jahre-Jugend Dichter vorgestellt. Nazar Hončar war auch durch und durch ein Dichter, eine poetische Existenz, wie man so sagt, was bedeutet, dass das Dichter-Sein sein ganzes Wesen durchdrang.
Und dieses Wesen war zunächst einmal schweigsam. Ich bin nie jemand anderem begegnet, der mit der Sprache so sparsam, so sorgsam, umging – auch im Gespräch. Das verunsicherte einen zunächst. Bis man erkannte, dass man Vertrauen haben konnte, und dass hinter diesem Schweigen ein großes Herz und eine besondere Begabung zur Freundschaft steckten. Und ein schelmischer, tiefsinniger, scharfer Geist, der der Sprache in ihren seltsamsten Windungen nachspürte, der sie von rechts nach links, von vorn nach hinten und von außen nach innen drehte, immer mit dieser bedächtigen, sorgfältigen, genauen Art.
Nazar Hončar hat Gedichte geschrieben, wunderbare Liebesgedichte für seine Frau (und Übersetzerin) Chrystyna, aber auch Palindrome, Wort- und Buchstabenspiele, die oft wie Umspringbilder zwischen verschiedenen Sprachen hin- und herwechselten. Ich erinnere mich an eine Performance, die ich mit ihm in seiner Heimatstadt Lwiw machen durfte und die die Worte „BUCH TUT SO WEH“ zwischen der deutschen und der ukrainischen Bedeutung abwandelte. Denn er war auch ein Performance-Künstler, der seine Texte und Ideen ohne viel Lärm, aber mit großer Intensität, mit einer gewissen Unschuld und immer auch mit Bestimmtheit in Szene setzte.
Und mit Hartnäckigkeit, denn das war neben seiner Begabung für Freundschaft jene Eigenschaft, die ihn zum wichtigsten Kulturmittler zwischen der Ukraine und Österreich im letzten Jahrzehnt werden ließ. Es begann mit einer schicksalhaften Begegnung, jener mit dem österreichischen Lyriker und Performancekünstler Christian Loidl, den er im Sommer 2001 in die Ukraine einlud. Nach Loidls plötzlichem Tod im Dezember desselben Jahres setzte Nazar Hončar den Kontakt mit dessen Freunden und Dichterkollegen, die sich im Verein „farnblüte“ formierten, und in der Folge mit der gesamten österreichischen Literatur-Szene fort. Er lud etliche von uns in die Ukraine ein und kam selbst immer wieder nach Wien zu Besuch, um an Veranstaltungen der „farnblüte“ teilzunehmen und auch eigene Lesungen und Performances zu halten. Den Höhepunkt seines Österreich-Bezugs stellte das Jahr 2007/08 dar, als er als Stadtschreiber in Graz wirkte und auch dort aus Kontakten rasch Freundschaften werden ließ. Als Ergebnis dieser Zeit ist das Buch LIES DICH im Leykam-Verlag entstanden, das einen Querschnitt durch Nazar Hončars Schaffen als Lyriker und als Performance-Künstler gibt.
Nazar Hončar verstand es, einen über die Seltsamkeit der Welt und der Sprache staunen zu machen – staunen und schmunzeln, tiefsinnig, spielerisch, un-er-gründlich.
Schweigsam, seltsam, un-er-gründlich
Zum Tod des ukrainischen Dichters Nazar Hončar (1964-2009)
ich flimmere
du flimmerst
die Welt ist ein flimmerndes Flechtwerk
dies ist das Gesetz
des Weltflimmerns
das auch für mich
so offenbar ist
Wenn ich mich recht erinnere, bin ich Nazar Hončar (oder Hontschar) zuallererst auf einem Bahnhof begegnet. Ich befürchtete, ihn in der Menge nicht zu erkennen – doch dann war es ganz klar, dass von all den Menschen auf dem Bahnsteig nur einer ein Dichter sein konnte. Schnürlsamt-Jeans, eine bunte Kappe, ein verträumter Blick, und dieser Bart zwischen Ziegenbock und Musketier – so habe ich mir in meiner 70er-Jahre-Jugend Dichter vorgestellt. Nazar Hončar war auch durch und durch ein Dichter, eine poetische Existenz, wie man so sagt, was bedeutet, dass das Dichter-Sein sein ganzes Wesen durchdrang.
Und dieses Wesen war zunächst einmal schweigsam. Ich bin nie jemand anderem begegnet, der mit der Sprache so sparsam, so sorgsam, umging – auch im Gespräch. Das verunsicherte einen zunächst. Bis man erkannte, dass man Vertrauen haben konnte, und dass hinter diesem Schweigen ein großes Herz und eine besondere Begabung zur Freundschaft steckten. Und ein schelmischer, tiefsinniger, scharfer Geist, der der Sprache in ihren seltsamsten Windungen nachspürte, der sie von rechts nach links, von vorn nach hinten und von außen nach innen drehte, immer mit dieser bedächtigen, sorgfältigen, genauen Art.
Nazar Hončar hat Gedichte geschrieben, wunderbare Liebesgedichte für seine Frau (und Übersetzerin) Chrystyna, aber auch Palindrome, Wort- und Buchstabenspiele, die oft wie Umspringbilder zwischen verschiedenen Sprachen hin- und herwechselten. Ich erinnere mich an eine Performance, die ich mit ihm in seiner Heimatstadt Lwiw machen durfte und die die Worte „BUCH TUT SO WEH“ zwischen der deutschen und der ukrainischen Bedeutung abwandelte. Denn er war auch ein Performance-Künstler, der seine Texte und Ideen ohne viel Lärm, aber mit großer Intensität, mit einer gewissen Unschuld und immer auch mit Bestimmtheit in Szene setzte.
Und mit Hartnäckigkeit, denn das war neben seiner Begabung für Freundschaft jene Eigenschaft, die ihn zum wichtigsten Kulturmittler zwischen der Ukraine und Österreich im letzten Jahrzehnt werden ließ. Es begann mit einer schicksalhaften Begegnung, jener mit dem österreichischen Lyriker und Performancekünstler Christian Loidl, den er im Sommer 2001 in die Ukraine einlud. Nach Loidls plötzlichem Tod im Dezember desselben Jahres setzte Nazar Hončar den Kontakt mit dessen Freunden und Dichterkollegen, die sich im Verein „farnblüte“ formierten, und in der Folge mit der gesamten österreichischen Literatur-Szene fort. Er lud etliche von uns in die Ukraine ein und kam selbst immer wieder nach Wien zu Besuch, um an Veranstaltungen der „farnblüte“ teilzunehmen und auch eigene Lesungen und Performances zu halten. Den Höhepunkt seines Österreich-Bezugs stellte das Jahr 2007/08 dar, als er als Stadtschreiber in Graz wirkte und auch dort aus Kontakten rasch Freundschaften werden ließ. Als Ergebnis dieser Zeit ist das Buch LIES DICH im Leykam-Verlag entstanden, das einen Querschnitt durch Nazar Hončars Schaffen als Lyriker und als Performance-Künstler gibt.
Nazar Hončar verstand es, einen über die Seltsamkeit der Welt und der Sprache staunen zu machen – staunen und schmunzeln, tiefsinnig, spielerisch, un-er-gründlich.
Eva Lavric, 23.5.2009
Comment by Eva Lavric — 23. Mai 2009 @ 23:59